Sitzung: 26.02.2013 Ausschuss für Jugend, Familien, Senioren und Soziales
Beschluss: zur Kenntnis genommen
Vorlage: 50/006/2013
Der Leiter des Amtes für Familie und Soziales, Kröger, nahm
dazu Stellung.
Er führte aus, dass eine allgemein gültige Antwort aus seiner Sicht nicht
möglich ist.
Die „Kinderarmut“ ist Teil der vielfachen Diskussionen um die „Armut“, die im
allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel absolut verstanden wird: arm
ist, wer wenig hat und dessen Mittel nicht für einen bestimmten Warenkorb
ausreichen.
Armut ist zu unterscheiden von „einfachen“ Entbehrungen aus finanziellen
Gründen oder einer scheinbaren Armut aufgrund eines bewusst anders
praktizierten Ausgabeverhaltens (z.B. Urlaub statt gesunde Ernährung).
In der Politik usw. wird vornehmlich von einer relativen Armut
gesprochen; mit verschiedenen statistischen Maßzahlen wird verglichen mit den
Verhältnissen im (sozialen) Umfeld eines Menschen. Häufig wird dabei auf ein
bestimmtes Verhältnis des individuellen Einkommens zum Median („Zentralwert“)
des (Netto-) Äquivalenzeinkommens („Gleichwertigkeitseinkommens“) abgestellt.
Die deutschlandweite Rechengröße ist zurzeit der Betrag von
jährlich 18.797 Euro (monatlich 1.566 Euro; Wert aus 2010). Die Verhältnisse können
regional unterschiedlich sein.
Nach Auffassung der EU-Statistiker sind Personen, die nur 60 % des
Vergleichseinkommens erreichen „armutsgefährdet“ (jährlich 11.278 Euro;
monatlich 940 Euro). Personen mit 40 % des Vergleichseinkommens werden als
„relativ arm“ angesehen (jährlich 7.519 Euro; monatlich 626 Euro). Die WHO und
die OECD arbeiten teilweise mit anderen Werten.
Diese Werte für Einzelpersonen werden zur Berechnung eines
Vergleichseinkommens für Familien mit Faktoren multipliziert (erste erwachsene
Person 1,0; weitere erwachsene Person und Kinder ab 14 Jahren 0,5; Kinder unter
14 Jahren 0,3). Bei einem Vier-Personen-Haushalt errechnet sich die sog.
Äquivalenzgröße von 2,3. Dieser Haushalt wäre somit bis zu einem Einkommen von
2.162 Euro als „armutsgefährdet“, bei einem Einkommen bis zu 1.440 Euro jedoch
als „relativ arm“ einzustufen.
Viele Sozialleistungsempfänger (Alg II / Hartz IV, Sozialhilfe,
Asylbew.-leistg.) sind demnach zwar „armutsgefährdet“ aber nicht „relativ arm“.
Eine vereinfachte Bedarfsberechnung für einen Vier-Personen-Haushalt (Eltern,
zwei Kinder) ergibt beispielsweise für Hartz IV-Empfänger einen Wert von
1.836,20 Euro (Wert 2013).
Wesentlich ist beim Thema „Kinderarmut“ auch, dass es nicht nur eine
finanzielle Armut gibt; es gibt auch eine sog. soziokulturelle Verarmung oder
auch „soziale Armut“. Dabei geht es um den Mangel an Teilhabe an bestimmten sozialen
Aktivitäten als Folge des finanziellen Mangels - mit Auswirkungen in den
Bereichen Gesundheit, Familienleben (Umgang miteinander, Erziehung), Bildung,
Charaktereigenschaften, kognitive (erkennende, wahrnehmende) Entwicklung usw.
Zu den Fragen kann nun Folgendes gesagt werden:
1. Gibt
es Kinderarmut in Lohne?
„Relative Armut“ gibt es wohl nicht bzw. muss es nicht geben, weil Ansprüche
und Leistungen aus Sozialleistungssystemen dies verhindern (können). Dies gilt
sowohl für die finanzielle als auch für die soziale Armut.
2. Wie
hoch ist der Anteil an Kindern mit Kinderarmut?
Hierzu können keine konkreten Zahlen genannt werden.
In Lohne lebten am 31.12.2012 rund 4.500 Kinder unter 15 Jahren, die als nicht
arbeitsfähige Personen gelten; es waren aber ca. 5.570 Kinder unter 18 Jahren.
Nach aktuellen Statistiken sind 520 Lohner Kinder und Jugendliche bis zur
Vollendung des 18. Lebensjahres in Bedarfsgemeinschaften (Arbeitslosengeld II,
Sozialhilfe, Asylbewerberleistungen) leistungsberechtigt. Das entspricht für
Lohne einem Anteil von 9,34 % (großräumigere Vergleichswerte sind nicht genau
bekannt; es gibt Hinweise auf 12 % und mehr). Diese Kinder und Jugendlichen
sind nach der allgemeinen Definition von Armut zwar „armutsgefährdet“; sie sind
jedoch (infolge des Sozialleistungsanspruchs) nicht als „relativ arm“ anzusehen.
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, der infolge von Sanktionen (z.B.
Kürzung des Arbeitslosengeldes II) oder der Leistungsversagung in den Bereich
der „relativen Armut“ fällt, ist nicht bekannt.
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die soziale Armut erleiden (müssen),
ist nicht bekannt und vermutlich auch nicht feststellbar.
3. In
welchen Bevölkerungsstrukturen Lohnes ist diese Armut zu finden?
Soziale Armut ist wahrscheinlich in allen Bevölkerungsschichten zu finden.
Ansonsten ist die Armut in Lohne wohl auch in den Bevölkerungsschichten zu finden,
die von der Bundeszentrale für politische Bildung genannt werden:
- Schulabbrecher und beruflich gering qualifizierte Jugendliche und Erwachsene,
- Familien mit Landzeitarbeitslosen
- Schwangere
- allein erziehende Frauen
- junge Familien mit kleinen Kindern
- Migranten- und kinderreiche Familien
4. Gibt
es Wissen um die Hintergründe dieser Armut?
Hintergründe sind offensichtlich die finanzielle Situation (der Eltern) und die
sozialen Gegebenheiten (z.B. Bildung). Es kommt sicherlich auch auf die
Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen an (z.B. Charakter, Kernkompetenzen wie
z.B. Motivation, Pünktlichkeit).
5. Woraus
begründet sich dieses Wissen?
Einerseits gibt es viele wissenschaftliche Untersuchungen usw., andererseits
handelt es sich um Aussagen aufgrund langjähriger Erfahrungen im Umgang mit
hilfsbedürftigen Menschen.
6. Was
wird gegen Kinderarmut in Lohne unternommen?
Grundsätzlich sind Strukturen notwendig, die Not erkennen, beurteilen und
handeln; handeln bedeutet Beratung, Begleitung und ggf. die Gewährung von
Vorteilen oder Sozialleistungen.
Einerseits gibt es Angebote zur Beratung seitens der Agentur für Arbeit, des
Jobcenters, der Stadt Lohne und z.B. der Caritas. Andererseits werden auch
gesetzliche Leistungsansprüche erfüllt und ggf. freiwillige Leistungen (u.a. der
Caritas, Familie in Not) erbracht.
Die Projekte „Neuer Erdenbürgerbesuch“ und „Kinder brauchen eine Familie“ sind
spezielle Lohner Aktivitäten. Vergünstigungen (z.B. kostenloses Kopieren von
Bewerbungsunterlagen), die Vorteilnahme durch die Rabatzz-Karte, Maßnahmen der
Familienförderung usw. mildern zumindest teilweise einen finanziellen Aufwand
von Haushalten mit Kindern.
Abschließend wurde die Feststellung getroffen, dass es trotz
aller Bemühungen vermutlich nicht gelingen wird, die Kinderarmut vollständig zu
beseitigen. Dafür müssten wohl Möglichkeiten gefunden werden, mit denen arme
und armutsgefährdete Kinder bis auf das letzte Kind festgestellt werden können
(z.B. über einen Datenabgleich) und mit denen Eltern, Kinder und Jugendliche
für eine ausreichende Selbsthilfe motiviert werden könnten.
In der anschließenden Aussprache wurden einige Aussagen hinterfragt und
diskutiert. Wichtig erscheint, dass weiterhin betroffene Personen beraten
werden und sie dadurch auch den Zugang zu den Sozialleistungssystemen finden.